Marburg im Herbst 2012: Eine Petition bei change.org geht online. Die Forderung: Nutella mit fair gehandelten Kakao und das Fairtrade-Logo auf dem Glas. Das Lieblingsfrühstück soll also nicht nur besser schmecken, mit der Petition verbindet sich auch die Forderung, dass Ferrero (Nutella-Produzent) den Kakaobauern und -bäuerinnen einen gerechten Preis bezahlt, der über dem Weltmarkt-Niveau liegt und missbräuchlicher Kinderarbeit auf den Kakaoplantagen Einhalt gebietet. Konsument*innen im Westen sollen diesem Ruf Rechnung tragen.
Im 30km von Marburg entfernten Stadtallendorf hört man den Ruf: Ferrero schaltet sich unmittelbar nach dem Online-Gehen der Petition ein.
Die Petition, begleitende Zeitungsartikel und Aktionsstände brachten den Wandel und öffneten Türen. Im Juni 2013 übergaben Mitglieder der Lokalgruppe Marburg über 33.000 Unterschriften im Rahmen einer öffentlichen Podiumsdiskussion und als Vertragsabschluss sollten 6.000 Tonnen fairer Kakao von Ferrero abgenommen werden. Mittlerweile (2016) sind es 20.000 Tonnen.
Entstanden ist diese Idee am Ende eines Just People?-Kurses. Etwas praktisch zu tun und Gerechtigkeit erfahren lassen und zukommen lassen, das wollten die Teilnehmer*innen des Kurses in Marburg. Zum Gelingen trug auch die Vernetzung einiger Mitglieder in Gremien und der Stadt Marburg bei: So arbeitet eine Teilnehmerin der Gruppe in der Steuerungsgruppe „Fairer Handel“ der Stadt Marburg mit. Vernetzung spielte auch eine entscheidende Rolle bei den Vereinbarungen mit Ferrero. Dieter Overrath von Fairtrade Deutschland saß mit auf dem Podium im Juni 2013 und aufgrund der Diskussion nahmen Ferrero und Fair Trade Deutschland Gespräche auf.
Entstanden ist die Idee des fairen Nutellas der Marburger*innen als Teil der Abschluss-Aktion des ersten Marburger „Just People?“-Kurses und war der Anstoß für ihr Engagement. Ein Engagement, das bewusst Firmen in den Blick nimmt und sie anspricht, ihren Teil der Verantwortung in der Lieferkette, z.B. für faire Löhne und Existenzbedingungen wahrzunehmen und konkrete Taten folgen zu lassen. Ein Engagement, das auch immer politisch ist: Auf dem Podium saßen politische Vertreter*innen aus Kirche, Kommune und der EU. Gebetswanderungen mit Politiker*innen sind seit längerer Zeit ebenso Teil der Arbeit der Marburger Lokalgruppe.
Mit einigen tausend verkauften Exemplaren – mittlerweile in der zweiten Auflage - ist der Just-People?-Kurs von Micha Deutschland das wichtigste Instrument in der Bewusstseins- und Bildungsarbeit.
Das englische „Just“ in der Doppelbedeutung von „einfach“ oder „gerecht“ nimmt Menschen mit hinein in die Frage, wie Nächstenliebe in einer globalisierten Welt aussieht und wie man sich praktisch und lebensnah für die Verwirklichung globaler Gerechtigkeit einsetzen kann: In der Gemeinde, beim Bibellesen, beim Kleidungskauf, eben in allen Lebensbereichen. Einzelne und Gruppen führen den Kurs gemeinsam durch und merken dabei oft, dass Gerechtigkeit wirklich jeden von uns etwas angeht. So wie Jesus auch immer den ganzen Menschen, in Körper und Geist, als Individuum und in Gesellschaft sieht und heilt, so sind auch wir dazu berufen Gottes Liebe zu den Menschen in all unseren Lebensbereichen sichtbar werden zu lassen.
Der Just People-Kurs?! wirkt oft als Initialzündung und Vervielfältigung im Engagement für Gerechtigkeit. Wer einmal am Kurs teilgenommen hat, kann ihn wiederum als Kursleiter*in einsetzen. In vielen Fällen hat der Kurs dazu beigetragen, dass sich an ganz verschiedenen Orten in Deutschland Micha-Lokalgruppen gründeten, so unter anderem in Heidelberg und Dresden. Karolin Schlosser aus der Lokalgruppe Heidelberg zum Kurs: „ Der Kurs hat unsere Lokalgruppe hier überhaupt erst entstehen lassen. Er bietet mit den super aufgearbeiteten Inhalten eine tolle Grundlage für unsere Arbeit. Und er regt zum Diskutieren und Weiterdenken an, so dass gute Gespräche und neue Gedanken entstehen.“
631 Gerechtigkeitsbibeln, in denen über 3.000 Bibelstellen zum Thema Armut und Gerechtigkeit in leuchtendem Orange unterstrichen sind, wurden im Januar 2014 im Bundestag allen Abgeordneten geschenkt. Je ein Exemplar bekamen der Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert (CDU) und die Unterstützer*innen Dr. Gregor Gysi (Linke), Kerstin Griese (SPD) und Frank Heinrich (CDU) persönlich überreicht. Die Übergabe war und ist ein Zeichen für das Bewegen von Politik und ihrer Verantwortung vor allem gegenüber den an den Rand der Gesellschaft gedrängten Menschen in Deutschland und der Welt. Unsere Gerechtigkeitsbibel liefert Impulse für gemeinsames Engagement von Politik und Kirche und gibt Impulse zum gemeinsamen Handeln.
„Die Gerechtigkeitsbibel stellt eines der wichtigsten Themen der Bibel in den Mittelpunkt. Beim Lesen gewinnen wir dadurch neue Einblicke in alte Texte. Ich würde mich freuen, wenn die Lektüre motiviert, sich zu fragen, was Gerechtigkeit heute ist, und was wir als Abgeordnete dafür tun können. Gerne unterstütze ich das Ziel der Gerechtigkeitsbibel, Bewusstsein für weltweite Solidarität und Gerechtigkeit zu wecken und zu fördern. Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen gute Anregungen für den politischen Alltag.“
Kerstin Griese, SPD-Abgeordnete und Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Soziales
Für die Abgeordneten ist die Bibel persönlich wie auch politisch zu verstehen. Die Abgeordneten stellen auch heraus, dass die Themen der Bibel immer noch aktuell sind – die Schere zwischen Arm und Reich zum Beispiel – und die Gerechtigkeitsbibel genau in diesem Navigieren und Aushandeln in ihrer politischen Arbeit Kompass und Wertgrundlage bietet.
Mit Abgeordneten zu sprechen und Hebelpunkte setzen für ganzheitliche Veränderung und gerechtere Strukturen schaffen – Michas Ruf nach „Recht üben“ geht auch in die Politik. Durch Gespräche unserer Engagierten mit ihren (Bundestags)Abgeordneten im lokalen Wahlkreis erreichen wir Politiker*innen. Oft im Rahmen von Kampagnen, mit konkreten politischen Forderungen, erinnern die Engagierten aus Lokalgruppen und Gemeinden Politiker*innen an ihre Versprechen und ermutigen sie, sich für gerechtere Strukturen einzusetzen. Eine dieser Forderungen war bei der Kampagne 2012 „fair.liebt.transparent“, dass sich das EU-Parlament für bessere Unternehmens-Richtlinien einsetzt. Diese Richtlinien sollten die Unternehmen zu mehr Transparenz im Handel mit Rohstoffen verpflichten: Richtlinien, die den Menschen in rohstoffreichen Regionen tatsächlich helfen und das auch Lieferketten transparenter werden, um die Verarbeitung von Konfliktmineralien vermeiden zu können.
Am 23. April 2012 fand in Düsseldorf ein Treffen zwischen Michael Voss und Klaus-Heiner Lehne, dem damaligen Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments, statt Hierbei ging es um das geplante Gesetz für mehr Transparenz im Rohstoffhandel ("Rechnungslegungs-Richtlinien-Gesetz"), für das Klaus-Heiner Lehne maßgeblich verantwortlich war.
Konzerne müssen deutlich detaillierter und aufgeschlüsselter Zahlungen, die sie in diese Länder fliessen lassen, auflisten und angeben. Der Entwurf von 2012 beinhaltete allerdings Passagen, die das Gegenteil bewirken konnten: die Offenlegung durch die Konzerne findet nicht statt und das Gesetz ist wirkungslos. Der Passus hatte die Worte: „Dieser Bericht (der Rohstoffkonzerne über die Zahlungen an die rohstoffreichen Länder) schließt Zahlungen an staatliche Stellen in einem Land aus, in dem die Offenlegung dieser Zahlungen eindeutig durch in diesem Land geltende Strafrechtsbestimmungen verboten ist.“
Speziell bezüglich dieses Passus hatte Micha das Gespräch mit Klaus-Heiner Lehne gesucht, und nach mehrmaligen Nachfragen den oben angegebenen Termin für ein Treffen erhalten. Da Klaus-Heiner Lehne damals Europa-Abgeordneter für Wuppertal und Düsseldorf war, fand das Gespräch in seinem Wahlkreis statt. Unterstützt durch Gebet der Michas und mit dem Vernetzungstreffen 2012 im Rücken, dass einige Tage zuvor stattfand, ging Michael Voss motiviert und ermutigt zu diesem Gespräch.
„Ich war überrascht, dass Klaus-Heiner Lehne durchaus interessiert und offen den von mir vorgetragenen Standpunkten zuhörte - und noch viel mehr überrascht, dass er nur wenige Worte zur Antwort gab, die aber genau das Erhoffte und Erbetete beinhalteten, nämlich: "Sie haben Recht". Ich war eher auf Ausflüchte seitens Lehnes eingestellt, mit denen er die genannte Passage des Gesetzes verteidigen würde. Aber - es kam anders. Klaus-Heiner Lehne akzeptierte die "Micha"-Argumente.“
Als Konsequenz des Gesprächs sagte Lehne zu, sich in seiner Fraktion im Europaparlament und auch in anderen Fraktionen für eine Streichung der einschränkenden Passage einzusetzen. Rund ein Jahr später wurde das "Rechungslegungs-Richtlinien-Gesetz" ohne den genannten einschränkenden Passus verabschiedet.
Das Gespräch hat gewirkt – Micha wirkt weiterhin durch diesen Arm.